Am 1. November 2025 feierte Giacomo Puccinis „La Bohème“ am Globe Coburg Premiere – und es ist ein Abend, der bleibt. Regisseurin Emily Hehl erzählt die zeitlose Geschichte über Liebe, Armut und Tod mit großer Emotionalität und zugleich bemerkenswerter Ruhe. Begleitet vom Philharmonischen Orchester Coburg unter der Leitung von Generalmusikdirektor Daniel Carter entsteht ein Musiktheaterabend, der so leise wie eindringlich ist – und am Ende kaum jemanden ohne Tränen entlässt.
Schon die Werkeinführung durch Musikdramaturg André Sievers vor Vorstellungsbeginn sorgt für einen gelungenen Einstieg: unterhaltsam, informativ, humorvoll – und mit derart sympathischer Lockerheit, dass selbst Opernneulinge mühelos in die Welt der Bohème hineingezogen werden.
Ein lebendiges Fresko des Alltags
Puccinis Oper ist kein Epos, sondern ein Mosaik aus Momenten. Sie zeigt die banalen, aber berührenden Facetten des Lebens: Hunger, Kälte, Freundschaft, Liebe – und den stillen Tod. Gerade diese Normalität macht La Bohème so besonders. In Hehls Inszenierung entfaltet sich das Geschehen nicht als straff erzählte Handlung, sondern als Reihe von Alltagsszenen, die zusammen ein Fresko der menschlichen Existenz ergeben.
Dass Mimìs Tod hier nicht in großer Dramatik versinkt, sondern beinahe beiläufig und erschütternd unspektakulär geschieht, ist einer der stärksten Momente des Abends. So banal, so unaufgeregt – und gerade dadurch so menschlich.
Ein Bühnenbild, das atmet
Bühnenbildner Raphael René Jacobs verlegt das Orchester nicht in den Graben, sondern auf die Bühne, hinter ein schwarzes Netz unter einem Pariser Nachthimmel. Der Effekt: Musik und Szene verschmelzen, die Klänge scheinen direkt aus dem Leben der Figuren zu kommen.
Im Hintergrund fällt ununterbrochen Schnee – ein visuelles Leitmotiv für die Kälte, die sich durch das gesamte Stück zieht. Davor die schlichte Wohnung der Künstler-WG: Stühle, Tisch, Schrank – mehr braucht es nicht, um das prekäre Leben dieser Bohèmiens greifbar zu machen. Die graue Betonfläche, die bis auf Parketthöhe reicht, öffnet den Raum zum Publikum – das sich plötzlich mitten in Paris wiederfindet.
Ein besonderes Highlight: Teile des Geschehens verlagern sich in den Zuschauerraum. Chor und Kinderchor treten aus Seiteneingängen hervor, der Spielzeugverkäufer rollt sogar ein lebensgroßes rotes Spielzeugpferd aus dem Foyer ins Parkett. Ein Kniff mit Wow-Effekt, der das Publikum sofort in die Handlung zieht.
Schwarz, Grau – und ein Farbrausch inmitten des Elends
Kostümbildnerin Emma Gaudiano bleibt dem schlichten Bühnenbild treu: Schwarz- und Grautöne dominieren. Erst im zweiten Bild, wenn das Pariser Volk in seiner ganzen Vielfalt auftritt, explodieren die Farben. Der Chor und Kinderchor erscheinen plötzlich in einem wahren Kostümrausch – ein Fest fürs Auge, das kurzzeitig vergessen lässt, dass sich in dieser Welt sonst alles um Kälte und Mangel dreht.
Eine Besetzung, die Herzen schmelzen lässt
Wenn Jaeil Kim (Rodolfo) und Lucia Tumminelli (Mimì) gemeinsam auf der Bühne stehen, entsteht pure Magie. Ihre Chemie ist so echt, dass man ihnen jedes Gefühl abnimmt. Die Duette (allen voran „O soave fanciulla“) sorgen für Gänsehaut am ganzen Körper. Beide erhalten immer wieder Szenenapplaus, und das völlig verdient.
Christopher Tonkin, neu im Ensemble, überzeugt als Marcello mit starker Stimme und Bühnenpräsenz und erweist sich als echte Bereicherung für das Landestheater. Hlengiwe Mkhwanazi zeigt als Musetta eine facettenreiche, humorvolle und zugleich tief emotionale Figur.
Das Orchester unter Daniel Carter spielt mit klanglicher Präzision und emotionaler Wucht – vom zarten Pianissimo bis zur vollen Explosion der Gefühle. Und auch Chor und Kinderchor sind unter der Leitung von Ben Köster ein Erlebnis für Augen und Ohren.
Ein leises Mädchen, das alles verändert
Emily Hehl ergänzt die Oper um eine Figur, die es im Original nicht gibt: das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern aus Hans Christian Andersens Märchen. Eine berührende Parallele – denn sowohl Mimì als auch das Mädchen sind Figuren, die leise sterben, unbeachtet, vergessen. Beide sehnen sich nach Wärme in einer Welt, die kalt bleibt.
Dieser Regieeinfall ist mehr als ein Gimmick – er schärft die soziale Dimension des Stückes und verleiht der Inszenierung eine zusätzliche Tragweite. So wird La Bohème zu einer Oper über die Zerbrechlichkeit der Menschlichkeit selbst.
Wer lebt, leidet; wer liebt, stirbt.
Was bleibt, ist ein Abend, der das Herz aufreißt. Keine grelle Modernisierung, kein überinszeniertes Konzept – sondern pure, ehrliche Oper, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Bemerkenswert – und wohltuend – ist der Verzicht auf das, was am Landestheater Coburg in letzter Zeit leider zu oft Usus geworden ist: schrille Extravaganz um jeden Preis.
Das Publikum reagierte entsprechend: tosender Applaus, Standing Ovations, Bravo-Rufe. Stimmen im Foyer nach der Vorstellung: „Unglaublich!“, „Genial!“, „Wahnsinn!“ – treffender lässt sich dieser Abend kaum beschreiben.
Am Ende hallt ein Satz nach, der das Stück perfekt zusammenfasst:
„Chi vive, soffre; chi ama, muore.“
Wer lebt, leidet; wer liebt, stirbt.
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