Das Theater - der queere Safe Space?

Foto: Martin Kaufhold, aus "The Legend of Georgia McBride" am ETA Hoffmann Theater Bamberg

Theater ist wild, laut, schillernd – und verdammt queer. Hier darf man Regeln brechen, Rollen tauschen, Grenzen sprengen und trotzdem man selbst sein. Für queere Menschen ist die Bühne seit jeher ein Ort, an dem Anderssein nicht nur toleriert, sondern gefeiert wird. Aber wie in der echten Welt gibt es auch im Theater Schattenseiten – Momente, in denen Vorurteile, Klischees oder alte Machtstrukturen noch spürbar sind.


Warum ist das Theater so queer?

Theater war schon immer ein Ort, an dem Identitäten fließend sind. Schon in der Antike spielten Männer Frauenrollen – später drehte man das bewusst um, um Regeln zu hinterfragen. Auf der Bühne durfte man immer schon das sein, was draußen verboten war. Theater zieht Menschen an, die kreativ, sensibel und mutig sind – genau wie viele queere Menschen. Beide Welten leben davon, Grenzen zu sprengen und Emotionen sichtbar zu machen. Hier ist Anderssein keine Schwäche, sondern Ausdruckskraft. Dramatik, Camp, Glamour, Pathos – all das, was in der queeren Kultur gefeiert wird, ist im Theater zuhause. Es ist ein Raum, in dem Schmerz, Schönheit und Wut erlaubt sind. Und die Bühne war immer politisch: Sie fragt, wer sprechen, lieben, dazugehören darf. Das sind queere Fragen. Es zeigt, dass Identität keine feste Kategorie ist, sondern eine Inszenierung – und genau das ist Queerness. Theater ist ein Schutzraum. Hier darf man fühlen, spielen, sich verwandeln. Hier wird Verletzlichkeit gefeiert statt verurteilt. Und genau deshalb fühlen sich queere Menschen dort so sehr zuhause.

Die Geschichte des queeren Theaters

Schon in der Antike war Queerness auf der Bühne nichts Neues. Im alten Griechenland war gleichgeschlechtliche Liebe gesellschaftlich akzeptiert – und fand ihren Platz auch im Theater. Aristophanes’ Komödie Die Thesmophoriazusen ist ein gutes Beispiel dafür: Darin verspottet er den Dichter Euripides, der in seinen Stücken frauenfeindliche und homophobe Töne anschlägt. Aristophanes macht genau das lächerlich – und verteidigt damit, indirekt, die queere Perspektive. Dass Männer Frauenrollen spielten, war damals völlig normal – nicht aus queerer Absicht, sondern weil Frauen der Auftritt verboten war. Aber genau daraus entwickelte sich später ein zentrales Element queerer Kultur: Drag. Die Bühne wurde früh zu einem Ort, an dem Geschlechtergrenzen nicht existierten, sondern spielerisch überschritten wurden.

In den Jahrhunderten danach verschwand diese Offenheit allerdings. Homosexualität galt vielerorts als Sünde, als „Sodomie“, wurde bestraft oder sogar mit dem Tod geahndet. Auch im Theater wurde Queerness zunehmend verdrängt – Liebe zwischen Männern oder nonkonforme Geschlechterrollen verschwanden aus den Spielplänen.

Erst im 20. Jahrhundert kam die Bewegung zurück. In den 1950er- und 60er-Jahren begann vor allem in New York eine neue Ära: kleine Theater, Off-Broadway-Bühnen und experimentelle Gruppen begannen, queere Themen offen zu zeigen. Das Theater wurde wieder zum Ort des Widerstands, zur Plattform für Identität und Selbstbestimmung. 1983 feierte das Musical La Cage aux Folles am Broadway Premiere – ein Wendepunkt. Zum ersten Mal stand ein offen homosexuelles Paar im Zentrum eines großen, kommerziellen Musicals. Statt Karikatur oder Tragödie gab es hier Stolz, Liebe und Humor. Die Botschaft: Queere Liebe ist nicht nur real, sie ist feierwürdig. Wenige Jahre später, 1996, kam Rent auf die Bühne – ein Stück, das die queere Thematik mitten ins Herz der Popkultur katapultierte. Es erzählt von jungen Künstlern in New York, die zwischen Armut, HIV, Liebe und Identität (über-)leben wollen. Rent war roh, laut, emotional und ehrlich. Es zeigte queere Charaktere nicht mehr als Randfiguren, sondern als Menschen voller Sehnsucht, Schmerz und Hoffnung. Damit veränderte es das Musical – und das Publikum – für immer. Es folgt eine Auswahl an weiteren besonderen queeren Stücken.


The Rocky Horror Show: das vermutlich queerste Stück aller Zeiten

Alles beginnt ganz harmlos: Brad und Janet, ein frigides, frisch verlobtes Pärchen, bleibt mit dem Auto im Regen liegen. Auf der Suche nach Hilfe landen sie in einem mysteriösen Schloss – und treffen dort auf Dr. Frank-N-Furter, einen exzentrischen, pansexuellen Wissenschaftler vom Planeten „Transsexual, Transylvania“. Er hat gerade ein künstliches Wesen erschaffen – den schönen, muskulösen Rocky. Was folgt, ist ein wilder Mix aus Science-Fiction, Horror, Sex, Drag, Glam-Rock und Rebellion.

The Rocky Horror Show ist aber mehr als ein Musical – es ist ein queeres Manifest. 1973, als es uraufgeführt wurde, war Queerness auf der Bühne meist tragisch codiert oder komisch. Schwule Figuren mussten am Ende sterben, trans Charaktere wurden verspottet oder gebrochen dargestellt. Und dann kam Frank-N-Furter: kein Opfer, keine Karikatur – sondern der Star. Dominant, charmant, gefährlich, begehrenswert. Er trug Strapse, Make-up und Selbstbewusstsein – und zeigte der Welt, dass Weiblichkeit keine Schwäche ist, sondern pure Macht. Das Stück hat Queerness zum ersten Mal lustvoll, frech und empowernd auf die Bühne gebracht. Es war laut, sexy und völlig unentschuldigt anders – und genau das machte es revolutionär.

Rocky Horror hat das Theater nicht nur queerer, sondern demokratischer gemacht. Zum ersten Mal riss ein Stück die vierte Wand ein: Das Publikum war kein passiver Beobachter mehr, sondern Teil des Spektakels. Menschen warfen Reis, schrien Antworten, tanzten gemeinsam den „Time Warp“. Diese Interaktion war mehr als Spaß – sie war ein kollektives Befreiungsritual. In einer Zeit nach den Stonewall-Aufständen, in der queeres Leben noch stark marginalisiert war, wurde „Rocky Horror“ zum Safe Space inmitten der Nacht. Egal ob schwul, bi, trans oder hetero – hier durfte man sich fallen lassen, wild, laut, sinnlich sein. Die Bühne wurde zum Spiegel einer neuen, selbstbewussten Generation, die keine Lust mehr auf Scham hatte. Das Stück ist ein einziger, glitzernder Mittelfinger an Heteronormativität. Sie feiert das Anderssein, überdreht die Geschlechterrollen und stellt Lust über Moral. Für viele queere Menschen der 70er war es das erste Mal, dass sie sich auf einer Bühne wiederfanden – nicht als Witzfigur, sondern als Idol.

Und dieser Satz aus dem Stück wurde zum Symbol der Selbstakzeptanz:

„Don’t dream it – be it.“
Träum nicht davon, du selbst zu sein – sei es.

Ein Käfig voller Narren: queere Liebe auf der großen Bühne

Im Mittelpunkt steht das schwule Paar Georges und Albin – letzterer ist gleichzeitig die glamouröse Drag-Künstlerin Zaza. Ihr Leben dreht sich um Liebe, Stolz und die Kunst, sich selbst treu zu bleiben. Als Georges’ Sohn heiraten will, prallen zwei Welten aufeinander: die konservativen Schwiegereltern seines Sohnes treffen auf die schrille, queere Lebensrealität von Georges und Albin. Ein turbulentes, herzhaftes Musical voller Humor, Missverständnisse und emotionaler Momente entfaltet sich – und zeigt, dass Liebe immer Recht hat, egal unter welchen Umständen.

La Cage aux Folles war revolutionär, weil es eines der ersten großen Musicals war, das ein offen schwules Paar ins Zentrum stellte. Es feierte queere Liebe nicht heimlich, sondern stolz, laut und mit Herz. Vor diesem Musical waren queere Figuren auf der Bühne oft tragisch oder versteckt – hier durften sie leben, lieben und glänzen.

Manche Figuren allerdings, besonders Albin/Zaza, werden leider noch heute als karikaturhafte Klischees dargestellt. Queeres Leben wirkte dadurch manchmal überdreht, schrill oder „anders“, statt vielfältig und normal. Dennoch veränderte das Musical das Verständnis von queerer Repräsentation grundlegend: Es zeigte, dass queere Menschen komplex, liebenswert und Hauptakteure ihrer eigenen Geschichten sein können.

The Legend of Georgia McBride: Drag als Bühne der Selbstermächtigung

Im Zentrum steht Casey, ein junger, heterosexueller Elvis-Imitator, dessen Karriere in Gefahr gerät. Um über die Runden zu kommen, entdeckt er die Welt des Drag – und verwandelt sich in Georgia McBride. Auf einmal erlebt der Protagonist eine völlig neue Freiheit: Glamour, Selbstbewusstsein, Performance und eine Community, die Anderssein feiert. Dabei stolpert er über eigene Vorurteile, wächst über sich hinaus und lernt, dass Drag weit mehr ist als Kostüme und Make-up – es ist Ausdruck von Identität, Mut und Selbstliebe.

„The Legend of Georgia McBride“ zeigt Drag auf eine moderne, zugängliche Weise. Einige Anspielungen auf „RuPaul’s Drag Race“ (so gesehen in den Inszenierungen am ETA Hoffmann Theater Bamberg und am Staatstheater Nürnberg) verbinden das Stück mit der heutigen Popkultur und machen es für ein breites Publikum nachvollziehbar. Drag wird hier halbwegs normalisiert: Es ist keine extreme Ausnahme mehr, sondern ein anerkanntes künstlerisches und kulturelles Phänomen. Hier wird Drag gefeiet, ohne zu stark auf Klischees zu setzen. Trotzdem werden homosexuelle Charaktere, besonders der älteren Generation, auch hier manchmal überzogen feminin dargestellt – ein bewusster Hinweis auf die verschiedenen Erfahrungen innerhalb der queeren Community? Hoffentlich. Gleichzeitig zeigt es, dass Drag für alle zugänglich ist: egal ob cis oder trans, hetero oder homo, Mann oder Frau. Jeder kann Drag leben, performen und sich dadurch selbst ausdrücken.

Ist Theater ein reiner Safe Space? Queerfeindlichkeit im Theater

Foto: Giorgia Viera

Doch wo Licht ist, gibt’s auch Schatten – und selbst das Theater ist nicht immer frei von Queerfeindlichkeit. Es ist zwar seit jeher ein Ort, an dem Anderssein gefeiert und queere Perspektiven sichtbar werden können. Dennoch gibt es auch Herausforderungen, die zeigen, dass dieser Safe Space nicht automatisch garantiert ist. Besonders an Schulen, etwa in den USA, geraten Theater-AGs mit queeren Themen gelegentlich unter politischen Druck. Gesetze wie „Don’t Say Gay“ in Florida haben die Thematisierung queerer Inhalte eingeschränkt und teilweise sogar Shakespeare-Stücke betroffen. In Ohio hat ein Schulbezirk einer Schule verboten, das Musical „The 25th Annual Putnam County Spelling Bee“ aufzuführen, weil darin ein homosexuelles Paar vorkam – erst als sich die Schöpfer des Musicals einschalteten, durfte die Aufführung zähneknirschend stattfinden.

Auch international spiegeln Theaterproduktionen gesellschaftliche Konflikte wider. In Ungarn wurden in den letzten Jahren Vorstellungen von Musicals wie „Billy Elliot“ gecancelt, da die Regierung argumentierte, dass queere Inhalte Kinder beeinflussen und schwul machen könnten. In Russland ist es ähnlich: Stücke, die LGBTQ-Themen behandeln, werden teilweise verboten oder eingeschränkt, weil sie als „Propaganda“ gewertet werden. Solche Fälle zeigen, wie eng Theater mit gesellschaftlicher und politischer Realität verknüpft ist – gleichzeitig verdeutlichen sie, warum ein sicherer Raum für queere Kunst so wertvoll bleibt.

Strukturell gibt es auch innerhalb der Theaterwelt noch Herausforderungen: Trans und nichtbinäre Schauspieler*innen werden nicht immer für Rollen besetzt, die ihrem Geschlecht entsprechen. In konservativeren Häusern können Arbeitsklimas, Machokulturen oder fehlende Repräsentation in Leitungspositionen den kreativen Spielraum einschränken. Einige queere Künstlerinnen wählen daher, nicht offen zu outen, um in ihrem Umfeld ungehindert arbeiten zu können.

Trotz all dem bleibt Theater ein Ort voller Möglichkeiten: Queerness wird sichtbar, künstlerischer Ausdruck gefördert und Gemeinschaften gebildet, die Solidarität und Unterstützung leben. Heute gibt es mehr queere Stücke, mehr Vielfalt auf der Bühne und in Ensembles als je zuvor. Zwar gibt es noch Verbesserungsmöglichkeiten, aber die kontinuierliche Arbeit von queeren und solidarischen Theatermacher*innen verändert die Szene nachhaltig. Theater bleibt ein Raum, in dem queere Menschen gesehen, gehört und gefeiert werden – und das mit wachsender Selbstverständlichkeit.

Fazit

Trotz mancher Herausforderungen bleibt Theater ein zentraler Ort für queere Kunst und Ausdruck. Es zeigt, dass Identität inszeniert werden kann, dass Diversität gefeiert werden darf und dass Gemeinschaft und Solidarität möglich sind. Theater ermöglicht Erfahrungen von Sichtbarkeit, Selbstbestimmung und Empowerment – und auch wenn noch nicht alles perfekt ist, wächst die Szene stetig, wird vielfältiger und inklusiver. Es bleibt ein Raum, in dem queere Perspektiven nicht nur existieren, sondern aktiv gefeiert werden. Und das ist heutzutage wichtiger denn je.



 Quellenverweis

[1] https://playbill.com/article/florida-high-school-cancels-production-of-indecent-students-say-its-because-of-dont-say-gay-laws

[2] https://en.wikipedia.org/wiki/LGBTQ_theatre

[3] https://www.theguardian.com/world/2018/jun/22/billy-elliot-musical-cuts-dates-hungary-claims-turn-children-gay

[4] https://www.stratfordeast.com/news/here-and-queer-a-brief-history-lesson-in-queer-theatre

[5] https://jcmcp.org/articles/macht-als-struktur-und-organisationsbildendes-konzept-des-theaterbetriebes/?lang=en

Kommentare