Zwischen IKEA-Kartons und Lebensfragen - „Atmen“ am Landestheater Coburg

Foto: Bastian Suffa

Am 26. September 2025 feierte „Atmen“ von Duncan Macmillan (Übersetzung: Corinna Brocher) in der Reithalle des Landestheaters Coburg Premiere. Die intime Zweierbesetzung – Benjamin Hübner als „M“ und Milena Weber als „F“ – stellte sich der Frage, ob man im 21. Jahrhundert eigentlich noch guten Gewissens ein Kind bekommen darf. Regie führte Kathrin Sievers, Ausstattung: Annette Wolf.

Bevor wir inhaltlich einsteigen: Der Service drumherum war solide. Eine sehr freundliche Dame an der Theaterkasse, ein nettes Einlasspersonal, Garderobenservice ohne Beanstandungen (und dazu kostenlos, Pluspunkt!). Die Räumlichkeiten sind zwar klein und Catering sucht man vergeblich – außer einem Getränkeautomaten – aber das kann man verschmerzen. Mit 99 Plätzen war die Premiere offiziell ausverkauft, auch wenn sich ein paar Lücken im Publikum zeigten. Dafür war die Mischung im Saal spannend: von jung bis alt alles dabei.
Das Programmheft hingegen? Schwach. Gerade einmal vier Seiten, drei kurze Texte, dazu ein Cover, das nur aus dem Stücktext bestand – null Bild, null Atmosphäre. Lieblos ist da noch freundlich formuliert. Positiv: die Triggerwarnung zur Fehlgeburt – ein wichtiges Signal, dass an traumatisierte Menschen gedacht wird. Aber ehrlich: Ich hätte lieber 2–3 Euro gezahlt und dafür ein liebevoll gestaltetes Heft wie beispielsweise am Staatstheater Nürnberg in der Hand gehalten.

Stück: IKEA, CO₂ und der ganz normale Wahnsinn

„Atmen“ (im Original „Lungs“) wurde 2011 in Washington D.C. uraufgeführt und gewann 2013 den Off West End Award für das beste neue Stück. Macmillan (Jahrgang 1980, ausgebildet u. a. am Royal Court Theatre in London) ist bekannt dafür, den Sorgen einer jungen Generation eine Stimme zu geben. Hier beginnt alles an einer IKEA-Kasse, wo M seiner Freundin F völlig unvermittelt vorschlägt, ein Kind zu bekommen. Ein denkbar schlechter Ort für ein denkbar großes Thema.
Es entspinnt sich eine Diskussion über Verantwortung, Umwelt, Moral: Ein Kind verursacht im Laufe seines Lebens rund 10.000 Tonnen CO₂ – können „gute Menschen“ das vertreten? F wird schwanger, verliert das Kind, zieht sich zurück, während M bei einer Kollegin Trost sucht. Trennung. Jahre später treffen sie sich wieder. Bart, Verlobung, Affären, Versöhnung, Geburt, Krankheit, Tod. Am Ende verlässt erst M, dann F die Bühne, die Lichter erlöschen, und die Stille wirkt länger als jeder Applaus.

Bühne: Minimalismus oder Sparmaßnahme?

Das Publikum saß sich in einer Arena-Situation gegenüber – zwei Tribünen, mittendrin die Spielfläche. Helles Licht ließ jede Reaktion auf der anderen Seite sichtbar werden. Gleich beim Eintreten sah man zwei Transportwagen mit Kartons, beschriftet mit „!KEA“. Daraus bauten M und F im Verlauf ein schwarzes Plastikregal zusammen.
Ja, es war ein netter Gag: Figuren, die sich krampfhaft umweltbewusst geben, packen ein Regal aus absurden Mengen Verpackungsmüll aus. Aber sonst? Kein Ort war erkennbar, keine Möbel, keine Requisiten. Bühne, Licht, Kostüme – alles auf das Minimum reduziert. Klar, Minimalismus kann wirken, aber hier roch es mehr nach „an falscher Stelle gespart“. Ein paar Details hätten der Atmosphäre gutgetan.
Die Kostüme? Normale Alltagskleidung. Passt zur Authentizität, macht die Figuren nahbar. Trotzdem fehlte der letzte Hauch Theatermagie – eher, als hätte man die Probe nie verlassen.

Schauspiel: Zwei, die tragen können

Foto: Bastian Suffa

Milena Weber überzeugte wie gewohnt. Ihre Fähigkeit, blitzschnell zwischen Emotionen zu wechseln – Wut, Humor, Trauer, echte Tränen auf Knopfdruck – war beeindruckend. Besonders in den ernsten Momenten konnte sie das Publikum packen, auch wenn sie in anderen Produktionen (wie in „Prima Facie“ im Landgericht Coburg) noch stärker glänzte.
Benjamin Hübner ist ohnehin ein Publikumsliebling. Auch hier zeigte er große Spielfreude und konnte M sympathisch, verletzlich, aber auch humorvoll anlegen. Zusammen hatten beide eine spürbar gute Chemie und sorgten dafür, dass die 100 Minuten nie kippten.

Eindruck: Zwischen Lachern und Kloß im Hals

„Atmen“ entpuppte sich als emotionale Achterbahnfahrt. Mal lacht man herzlich, mal sitzt man mit Kloß im Hals, mal hat man Mitleid, Wut oder Hoffnung. Die Arena-Situation verstärkte das Gefühl, teilweise mitten in einem Gladiatorenkampf zu sitzen – ohne klaren Sieger.
Der Beginn zog sich etwas, aber sobald das Stück Fahrt aufgenommen hatte, verging die Zeit im Flug. Es war nicht seicht, aber auch nicht knallhart ernst – sondern eine Mischung, die je nach Geschmack funktioniert oder irritiert.

Publikum: gute Stimmung, langes Klatschen

Das Publikum reagierte lebhaft. Viel Gelächter, spürbare Betroffenheit in ernsten Szenen, am Ende langer Applaus mit Jubel. Standing Ovations blieben vereinzelt, was sicher auch daran lag, dass ein Großteil des Jubels von Kolleg*innen im Publikum kam – Ensemble, Dramaturgie, Theaterleitung.

Fazit

„Atmen“ in Coburg ist keine perfekte Inszenierung, aber eine sehenswerte. Minimalismus, der manchmal jedoch geizig wirkt, trifft auf zwei starke Schauspieler*innen, die den Text tragen können. Wer bereit ist, sich auf den Wechsel zwischen Witz und Ernst einzulassen, erlebt eine packende, sehr gegenwärtige Geschichte. Für den niedrigen Eintrittspreis kann man hier nichts falsch machen.

Kommentare

  1. Liebe* Rezensent*in, als Regisseurin dieses Abends habe ich mich sehr gefreut über Ihren Artikel - neben inhaltlich treffender Beschreibung (außer, dass Sie die gesamte Handlung spoilern…) auch über die Tatsache, dass Sie sich so viel Zeit genommen haben. Zum besseren Verständnis von Bühnenbild und Spielweise zitiere ich hier die Spielanweisung, die der Autor dem Stück vorangestellt hat: „Das Stück wurde für die leere Bühne geschrieben. Es gibt kein Bühnenbild, keine Möbel, keine Requisiten und kein Ausagieren. Es gibt keine Kostümwechsel. Licht und Ton sollten nicht eingesetzt werden, um einen Zeit- oder Ortswechsel anzudeuten.“ Verglichen damit sind unsere ästhetischen Entscheidungen geradezu barock. Wir wollten mehr als ein Quasi-Hörspiel, haben jedoch auch die Qualität gesucht, die gerade in der Nicht-Bebilderung der Geschichte liegt und vieles der Fantasie des Zuschauers überlässt. Daher die Entscheidung für ein abstraktes, den geistigen Zustand der Figuren versinnbildlichendes Bühnenbild, das den sprunghaften Wechseln und der Interaktion Luft lässt. Herzliche Grüße, Kathrin Sievers

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  2. Hallo Frau Sievers, vielen Dank für die Anmerkungen und die Einordnung des Ganzen. So versteht man die Inszenierung auf jeden Fall besser 😇 Das könnte man ja in Zukunft vielleicht mal so ins Programmheft schreiben, als kleiner Tipp an die Dramaturgie.

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